Wie die Yakuza ihr gutes Image verspielten
Die Yakuza sind Japans ultraharte Verbrechersyndikate, die hier wohl jeder aus Filmen wie Black Rain, Crying Freeman oder den Gangsterepen von Takeshi Kitano kennt. Wegen ihrer komplexen Bandenstruktur werden die Yakuza auch als japanische Mafia bezeichnet. Den Vergleich mögen sie aber nicht, weil sie sich nicht als Belastung für die Gesellschaft verstehen – mehr als diejenigen, die dort für Recht und Ordnung sorgen, wo die Polizei keinen Einfluß hat. Schutzgeld müssen sie als kleine Aufwandsentschädigung eintreiben. Klingt zynisch, ist sogar dreist. Trotzdem hat diese paradoxe Image-Kampagne jahrzehntelang ihre Wirkung nicht verfehlt.
Japans ultrabrutale Gangster
Die Yakuza wurden früher respektiert, galten als diejenigen, die auf den Straßen für Ruhe sorgten, Kleinkriminelle, Unruhestifter und ausländische Syndikate unterdrückten. Nach dem Krieg waren sie es, die Arbeitswütige mit Wachmachern und Familien mit den nötigsten Haushaltsutensilien versorgten. Ihre bedingungslose Loyalität untereinander, ihr Männlichkeitskult und ihr strenger, pseudomoralischer Kodex faszinierte vor allem Filmemacher, deren Leinwandhelden den Yakuza den Ruf von Gentleman-Gangster einbrachten.
Aber bei aller Faszination für Japans Unterwelt darf man nicht vergessen, dass die Yakuza ultrabrutal und rücksichtslos gegen alle vorgehen, die ihren Plänen im Wege stehen. Hilfeaktionen, wie nach dem großen Kobe-Erdbeben und nach Fukushima sind wohl eher gutorganisierte PR-Streiche der Gangster.
Falschspieler oder vagabundierende Helden?
Dazu gehört auch die Mär, die die Organisationen über ihre Ursprünge verbreiten. 1603 schaffte es die Familie Tokugawa ein extrem chaotisches Japan nach anderthalb Jahrhunderten Bürgerkrieg unter ihrer Herrschaft zu vereinen. Fern der Hauptstadt jedoch litten die Bauern nach wie vor unter vagabundierenden Diebesbanden, Söldnern und Gesetzlosen. Herrenlose Samurai schlossen sich deshalb zu Dorfbeschützergruppen zusammen und schlugen die Schurken zurück. Diese Machi Yakko wurden zu Volkshelden, die bis heute in Liedern und Theaterstücken gefeiert werden.
Weil sie ihre Volksnähe gerne betonen, behaupten die Yakuza, auf jene Helden zurückzugehen. Betrachtet man allerdings das Milieu, aus dem der Begriff Yakuza stammt, dann findet man eine passendere Antwort auf die Herkunftsfrage. Denn das schlechteste Blatt beim Kartenspiel Hanafuda ist die Kombination der Karten 8-9-3 (gelesen: ya-ku-za). Es ist also wahrscheinlicher, dass die Yakuza aus den Kreisen professioneller Glücksspieler stammen.
Der Infrastrukturausbau in Japan verschlang im siebzehnten Jahrhundert nämlich Unsummen. Zu diesem Zweck lockerte die Regierung das Glücksspielverbot und entsandte professionelle Groupiers, die den angeheuerten Straßenbauarbeitern nachts das sauer verdiente Geld wieder abnahmen. Diese Abzocker waren die Bakuto. Mit der Zeit bildeten sie überregionale Netzwerke und übernahmen die Kontrolle über das illegale Glücksspielgeschäft und die Vergnügungsviertel des Insellandes.
Es zählt nur Loyalität und Stärke
Drei große Gruppen beherrschen heute die japanische Unterwelt: Die Yamaguchi aus Kansai (geschätzte 45.000 Mitglieder), die Sumiyoshi (mit etwa 10.0000 Mitgliedern) und die Inagawa (etwa 7.000 Mitglieder) aus der Umgebung von Tokyo .
In ihrem Territorium kontrollieren sie auch heute noch das illegale Glücksspiel und das Vergnügungsgewerbe. Aber auch im Drogenhandel, im Immobiliengeschäft, in der Bau- und der Abfallentsorgung mischen sie mit. Damit sich die vielen Gangs nicht in die Quere kommen gibt es eine strenge Hierarchie und einen noch viel strengeren Ehrenkodex, an den sich alle zu halten haben. An der Spitze der Syndikate steht deshalb der Kumichou, Bandenchef, der die wichtigen Entscheidungen fällt. Ihm sind alle internen Gruppen (Ikka) zum Gehorsam verpflichtet. Nur die Anführer der Zweigfamilien (Kyoudai) begegnen sich auf Augenhöhe. Der Rest folgt dem Kodex einer bedingungslosen Meister-Schüler-Hörigkeit (Oyabun-Kobun-System).
Karriereboost Knastvertretung
Die Ausbildung läuft nach dem Prinzip „zuschauen und nachmachen“. Hierbei gilt es, den Yakuza- Sprachcode, Floskeln und Verhaltensregeln zu lernen. Wer sich im Laufe der Ausbildung schnell bewährt, steigt im Rang auf. Beste Möglichkeit hierfür ist ein Gefängnisaufenthalt für einen hochrangigen Yakuza durch ein falsches Schuldeingeständnis. Auf der Führungsebene der Syndikate gab es früher kaum jemanden, der nicht mindestend 10-15 Jahre stellvertretend im Knast abgesessen hatte.
Ein Fingerglied als Entschuldigung
„Lieber einen Finger verlieren, als den Kopf. Und lieber den Kopf verlieren, als das Gesicht“, heisst es unter den Yakuza.
Deshalb verbüßen diese schwere Fehler traditionell, indem sie sich selbst eine Fingerkuppe oder ein ganzes Fingerglied amputierten und diese dem Vorgesetzten überreichen. Yubitsume wird diese Praxis genannt. Zum Abtrennen wird entweder ein sehr scharfes Messer oder Hammer und Meißel genommen.
Der Brauch stammt übrigens von Kurtisanen aus dem japanischen Mittelalter, die ihrem Gönner eine Fingerkuppe als Treuebeweis schenkten. Bei den Yakuza bedeutete ein fehlendes Fingerglied die Lockerung des Schwertgriffes. Durch die Amputation soll die Ernsthaftigkeit eines Anliegens klargemacht, die Selbstaufgabe für den Vorgesetzten zur Schau gestellt und die Stärke eines Junggangsters bewiesen werden.
Irezumi: Einmal Yakuza, immer Yakuza
Ganzkörpertätowierungen im Irezumi-Stil sind das Merkmal traditioneller Yakuza. Die Tattoos sind fast immer Ukiyoe-Holzschnittmotive, Blumenmuster, Tiere, Helden- oder Heiligenbilder. Außerdem zeigen sie Rang und Syndikatszugehörigkeit an. Das Motiv der Irezumi charakterisiert den Träger und unterstreicht dessen Entscheidung, der japanischen Gesellschaft für immer den Rücken zu kehren. Die Farbe wird übrigens von Hand unter die Haut gestochen. Die Anfertigung der Ganzkörperzierde dauert meist mehrere Monate und ist sehr schmerzhaft. Deshalb ist die Irezumi auch wieder ein Beweis von Stärke und Männlichkeit. Die Kumi sehen sich als soziales Auffangbecken. Beim Rekrutieren von Nachwuchs suchen sie unter den Zuwanderern, Tagelöhnern, Bozozoku-Rockerbanden, Ex-Polizisten oder vorbestraften Jugendlichen – kurz all denen, die keine Bilderbuchkarriere im erfolgsorientierten Japan machen konnten. Dabei ist diese „letzte Chance“ für den Yakuza-Nachwuchs normalerweise nicht der wesentliche Entscheidungsfaktor: Laut Umfrage fühlten sich etwa 65 Prozent vor allem vom cool-harten Image und der abenteuerlichen Yakuza-Welt angezogen.
Polizei & Yakuza – ein historisches Geschäft
Die Yakuza hat für die Regierung die Drecksarbeit gemacht. Wir haben die Kommunisten umgebracht und die Straßen sauber gehalten, nicht die Polizei Es war ein historisches Geschäft. (Gangmitglied im „Merian“- Artikel)
Solange sie sich auf illegales Glücksspiel, Prostitution und den Aufputschmittelhandel konzentrierten, überließ die Polizei den Syndikaten das Feld. Spätestens seit dem 2. Weltkrieg wurde daraus eine handfeste Kooperation. Die Yakuza halfen der Polizei den Schwarzmarkthandel zu kontrollieren und Kleinkriminalität in den Griff zu bekommen. Bei Übergriffen der japanischen Linken gegen die Polizei in den 60 er/ 70 er Jahren prügelten die oft ultrakonservativen Syndikatsmitglieder ihren Partnern in Uniform den Rücken frei. Die Kumi-Mitglieder konnten lange Zeit ungestört agieren, unterhielten Büros, an deren Türen ihre Wappen prangten und Syndikats-Mitglieder verteilten auf der Straße ihre Visitenkarten, die sie als Yakuza auswiesen.
Image auf’s Spiel gesetzt – und verloren
Mit der Zeit begannen die Yakuza auf ihrer Suche nach neuen Einnahmequellen immer häufiger Wirtschaft und Bevölkerung zu schikanieren. Beliebte Tricks waren gefakete Unfälle mit überteuerten Schadensersatzforderungen. Sie ließen im Gedränge Gegenstände fallen oder provozierten Auffahrunfälle im Berufsverkehr. Wer nicht bezahlen wollte wurde bedroht oder zusammengeschlagen. Außerdem stiegen die Gangster ins Imobiliengeschäft ein, kauften ganze Wohnblocks weit unter Preis. Wer sich nicht von seinem Haus trennen wollte wurde terrorisiert. Die Gangster lagerten Müll auf dem Nachbargrundstück oder zermürbten die Anwohner durch dauerhafte Lärmbelästigung.
Nachdem bei Schießereien rivalisierender Banden auch Zivilisten ermordet wurden, musste die Polizei handeln. Durch das Anti-Yakuza-Gesetz (boutaihou) erhielten die Ermittler Sonderbefugnisse im Kampf gegen die Kriminellen, sobald diese erst einmal offiziell als Yakuza-Kumi eingestuft wurden. Um einen Schlussstrich unter das gute Image der Yakuza zu ziehen, wurden die Yakuza zudem offiziell in Bouryokudan (Gewaltgruppen) umbenannt. Die Kumi fühlten sich dadurch natürlich von der Polizei verraten.
Das Ende der Yakuza?
Trotz regelmäßiger Revisionen des Anti-Yakuza-Gesetzes ist nicht anzunehmen, dass die Yakuza jemals vollständig „ausgerottet“ werden – auch wenn dies regelmäßig von der Polizei in ihren Jahresberichten proklamiert wird. In ihrer über dreihundertjährigen Geschichte hat die japanische Mafia immer wieder gezeigt, dass sie in höchstem Maße anpassungs- und wandlungsfähig sind. Ganz klar ist aber, dass die Anzahl der Erpressungsdelikte und Bürgerschikanen, auf die das Gesetz schwerpunktmäßig ausgerichtet war, deutlich abgenommen hat.
Der wohl wichtigste Effekt der Yakuza-Gesetze ist der, dass die Bevölkerung wieder Vertrauen in die Durchsetzungskraft der Behörden gewonnen hat. Heute wehren sich immer mehr Bar- und Clubbesitzer, indem sie Schutzgeldforderungen zur Anzeige bringen. Allerdings hat die Yakuza sich im gleichen Atemzug um Alternativ-einnahmequellen gekümmert. Seit der Wirtschaftkrise treten die Syndikate immer häufiger als Geldeintreiber und Kredithaie auf. Außerdem gingen die Yakuza als Ordnungsfaktor der Unterwelt verloren. Dadurch gewinnen nicht weniger brutale Verbrecherkartelle aus China, Taiwan und Korea an Einfluß. Die Folge ist zum Beispiel, dass neben Speed heute auch harte Drogen wie Heroin ins Land kommen.
Trotzdem ist das gesteuert romantisierte Image der Gangster bei der Bevölkerung hinfällig geworden, weil ihr immer brutaleres Auftreten seit den 70ern sie endgültig als asoziale Elemente enttarnte. Jenseites der Realität existiert jenes Idealbild nur noch in der Popkultur, in Romanen, Filmen und Videospielen weiter. Den Bezug zu ihren realen Pendants stellt (zumindest in Japan) kaum noch jemand her.
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